Das Spätwerk und die Rückkehr der Farbigkeit

Katrin Draxl

Philipps Malereien und Schichtgrafiken werden 1997 in einer Personale im Heiligenkreuzerhof präsentiert und gewürdigt.
In der Ausstellung anlässlich des europäischen Forum Alpbach im Jahr 2000 zeigt Philipp im Congresshaus unter anderem zwei großformatige, oktogonale Ar­beiten, die zu den „Shaped Canvases“ gezählt werden können. Anhand dieser beiden Werke wird noch einmal deutlich, dass Philipp einmal gefundene Themen über die Jahre tradiert und entwickelt und künstlerische Strategien in unterschiedlichen Me­dien gelungen zur Synthese bringt.
In Philipps letzten Arbeitsjahren ist neben der Malerei der Siebdruck ihr be­vorzugtes Medium. Ab 1997 beginnt sie, Formideen ihrer Grafitarbeiten in der Werkstatt des Kunstsiebdruckers Andreas Stalzer im Siebdruck umzusetzen. In einer vierteiligen Arbeit beispielsweise bringt die Künstlerin das Medium Licht mit dem Prinzip der Schichtung und dem der Kombinatorik zu einer gelungenen, konzeptionell bemerkenswerten Synthese.
Gegen Ende der neunziger Jahre und um 2000 bricht Philipp ihre unbunte Farb­palette auf und ersetzt das graue Pigment durch eine Blaumischung aus Kobalt und Ultramarin. Neben dem Thema des Parallelogramms und der damit verbundenen Drehung einer Fläche im Raum beschäftigt sich Philipp in den schwarz-blauen Ar­beiten weiter mit der systematischen Aufteilung einer quadratischen Fläche und deren unterschiedlichen Kombinationsmöglichkeiten.
Die Frage, weshalb Philipp nach gut zwanzig Jahren wieder zur Farbe zurückge­kehrt ist, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Interessant ist, dass die Künstlerin sich zunächst auf eine einzige Primärfarbe beschränkt hat, wodurch Effekte der Dreidimensionalität durch Farbabstufungen von Schwarz zu Hellgrau oder Weiß nicht mehr möglich sind. Der durch die Zweifärbigkeit im Bild erzeugte Kontrast beruht nun nicht mehr primär auf der Unterscheidung zwischen Hell und Dunkel, sondern zwischen Farbe und unbunter Farbe. Farbe, speziell die Farbe Blau, wird damit zu einem weiteren Gegenstand von Philipps bildnerischen Untersuchungen.
Neben biografisch bedingten Erklärungen1 können auch äußere Impulse die Rück­kehr zur Farbigkeit ausgelöst oder zumindest angeregt haben. Interessant scheint in diesem Zusammenhang Philipps Beschäftigung mit der Arbeit von Heinz Gappmayr, der immer wieder die Polaritäten „schwarz“ und „weiß“ sowie Licht und Schatten in seinen Arbeiten thematisiert und sich auch intensiv mit den Möglich­keiten der Farbwahrnehmung auseinander setzt. In seinen bis 1990 entstandenen Farbtexten beschäftigt er sich vorrangig mit den Primärfarben Rot, Blau und Gelb sowie den Nichtfarben Schwarz und Weiß, die er sowohl in Form von monochromen Bildtafeln als auch mittels reiner Begriffe zueinander in Beziehung setzt. Die sichtbare Erscheinung der jeweiligen Farbe entspricht dabei einer willkürlichen Auswahl aus einer Vielzahl von Möglichkeiten, während der Begriff selbst universelle Gültigkeit besitzt und dadurch konkret ist. Gappmayr bietet dem Betrachter damit eine visuelle und eine gedankliche Ebene der Wahrnehmung von Farbe an. Auch Philipps Werke lassen sich auf einer visuellen und einer gedanklichen Ebene wahrnehmen. Sie thematisieren wie Gappmayrs Arbeiten Kategorien wie Raum, Zeit, Bewegung, Licht oder Struktur und mit den blau-schwarzen Malereien auch Farbe an sich.
Farbe als Konkretes, Farbe als Farbe an sich ist die Essenz der letzten Sieb­druckserien der Künstlerin vor ihrem Tod. Im Jahr 2000 entsteht in Andreas Stalzers Werkstatt eine dreiteilige Siebdruckserie, in denen Philipp in zwei Druckvorgängen die drei CMY-Farben Rot, Blau und Gelb jeweils paarweise miteinander kombiniert. In der Überschneidung der reinfarbigen Dreiecke entstehen die Mischfarben Grün, Orange und Violett.
Ein Jahr später stellt Philipp in einer sechzehnteiligen Siebdruckserie die Grundfarben Rot, Blau, Gelb und Grün sowie deren Verhältnis zueinander dar. Auf je vier in den Farben Rot, Blau, Gelb und Grün gestrichenen Offsetkartons sind jeweils drei Farbrasterbalken derselben vier Farben in regelmäßiger Abstufung vertikal und gegenläufig gedruckt. Die Farbintensität verläuft dabei im mittleren Balken von 90% im obersten Farbstreifen abnehmend bis zum untersten Farbstreifen mit 20%, in den äußeren Balken genau in die umgekehrte Richtung. Bei einer Ab­stufung der Farbe Gelb kommt es somit zu folgenden vier Varianten: Gelb auf Gelb, Gelb auf Rot, Gelb auf Blau und Gelb auf Grün, wodurch einmal die Grundfarbe Gelb verstärkt wird, in den anderen drei Blättern Mischfarben unterschiedlicher Intensität entstehen. Ein zweiter sechzehnteiliger Zyklus nach demselben Prinzip entsteht im Jahr 2002. Hier verlaufen zwei horizontale Farbbalken gegeneinander. Trotz einfachster Konzeption ist die Wirkung dieser Blätter beachtlich: Sie scheinen aufgrund der Farbabläufe und in ihrer Zusammenschau als Reihe bewegt, lassen das Auge angenehm wandern und sind dennoch durch die zweifache Spiegelung der Farbbalken in sich stabil und harmonisch. Als „Lehrstück für konkrete Kunst“2 wurden ihre farbigen Siebdruckzyklen bezeichnet.
Lehrstücke für eine konkret-konstruktive Position sind Philipps Werke seit den frühen siebziger Jahren, nicht zuletzt durch ihre Forderung an den Betrachter, offen für die Wirksamkeit ihrer Werke zu sein3.

 

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1  Im Jahr 2002 wurde bei Helga Philipp Krebs diagnostiziert.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2  Dieter Schrage: Pionierin der „konkreten Kunst“ in Österreich: Helga Philipp, in: Wiener Kunst­hefte, März 2002.

3  Forum Konkrete Kunst Erfurt (Hrsg.): Logik und Poesie. Kolloquium vom 21.-23. Juni 2001. Dokumentation der Ergebnisse, Schriftenreihe 5, 2001, S. 46.