Der erweiterte Bildraum

Katrin Draxl

Zeitlich parallel zu den kinetischen Objekten und den Siebdrucken mit Kreis­raster entstehen in den Jahren 1972 und 1973 zwei Gruppen von Grafiken, in denen Philipp einzelne Kreise auf hochformatigem Hintergrund zueinander in Be­ziehung setzt. Die Kreise werden entweder linear in der Horizontalen oder der Vertikalen angeordnet oder in Gruppen zusammengefasst. Stärker als in den Arbeiten mit Kreisraster wird nun der isolierte, aus dem Raster befreite Kreis zum Baustein, zum Grundelement, das auch für sich allein stehen kann. Philipp arbeitet weiterhin auf Papier, erweitert jedoch technisch den zweidimensionalen Bildträger zum Bildraum, indem sie die Kreise reliefartig hervortreten lässt.
In der ersten, zeitlich etwas früher entstehenden Gruppe von Arbeiten kombiniert Philipp in der Ausführung zwei Methoden: Zum einen verwendet sie vorgefertigte Kartonscheiben in unterschiedlichen Größen, die hinsichtlich der Abstinenz der künstlerischen Handschrift an ihre bisherigen Arbeiten anschließen. Zum anderen färbt sie diese Kartonscheiben und den Papierhintergrund durch Schraffuren mit Grafit und hinterlässt damit erstmals in ihrer Arbeit deutlich eine als künstlerische Handschrift erkennbare Spur.
Philipp arbeitet mit unterschiedlichen Helligkeitswerten durch verschieden dichte Schraffuren, variiert die Größe und Anzahl der Kartonringe und jene der auf dem Untergrund gezeichneten Ringe. Den grafitfarbenen Ringen werden auch un­bemalte, weiße Kartonringe kontrastreich gegenübergestellt. Die im Siebdruck durch Farbe und Ringstärke erreichte Tiefenwirkung erzielt sie in diesen Arbeiten durch den Größenanstieg im Durchmesser und die Anzahl übereinander liegender Ringe.
Licht spielt auch in dieser Werkgruppe eine wichtige Rolle: Durch die reliefartige Struktur der Ringkonstellationen bewirkt der Lichteinfall Schattenbildung, welche die Plastizität der Ringe, besonders der weißen, unterstreicht. Die Färbung der Kreise und Kartonringe mit Grafit ermöglicht der Künstlerin einerseits eine Abstufung der Grautöne, zum anderen reflektiert Grafit mit seinem metallisch ­matten Glanz einfallendes Licht. Grafit als Licht teilweise absorbierendes, teils reflektierendes Medium stellt damit das ideale Zeichenmittel für Philipp dar.
Im Jahr 1973 entsteht eine zweite Gruppe von Arbeiten, in denen der Kreis ­plastisch über die Bildebene hinaustritt. Mittels ringförmiger Metallscheiben unterschiedlicher Größe und einer Presse prägt Philipp die Kreisformen in Büttenpapier. Wieder bilden einzelne Kreise lineare Strukturen, die horizontal oder vertikal auf dem Büttenpapier verlaufen. Die Prägung im Zusammenspiel mit dem einfallenden Licht übernimmt in diesen Arbeiten anstelle von Farbe und Linie die Funktion der Formgebung. Philipp zeichnet gleichsam im Raum.
Neben der Personale in der Neuen Galerie am Landesmuseum Joanneum in Graz nimmt Philipp im Sommer 1974 wieder an der Stadtparkausstellung unter dem Titel „Signale Zeichen Symbole“ teil. Prominent spannt sie einen dreibahnigen, textilen, weißen Hintergrund zwischen den Bäumen des Wiener Stadtparks und platziert in dessen Mitte einen Autoreifenschlauch, wie sie ihn schon bei ihrem Wienfluss-Objekt zwei Jahre zuvor verwendet hat. Der schwarze Gummiring auf weißem Hintergrund übersetzt die Grafiken mit den grafitfarbenen Kartonringen in die Dreidimensionalität.
Bis 1973 beschäftigt sich Philipp in unterschiedlichen Medien mit dem Kreis­motiv. Die Aneinanderreihung mehrerer Kreise führt sie zu einer linearen Struktur innerhalb des viereckigen Bildträgers. Im Jahr 1976 entstehen erstmals Grafiken, in denen Philipp die Linie als neues Grundmotiv verwendet. Gleichzeitig ändert die Künstlerin auch ein wesentliches Prinzip ihrer Arbeit: Konnten ihre Grafiken bisher immer auch als Einzelblätter präsentiert werden, arbeitet sie nunmehr primär in Serien. Bereits mit dem Prägedruck vertraut, verbringt sie den Sommer 1976 in der von Fria Elfen und Will Frenken gegründeten Werkstatt Breitenbrunn im Burgen­land1. Dort steht ihr eine Rillmaschine zur Verfügung, mit der sie unterschiedliche Variationen von neunteiligen Präge-Serien druckt. In einer Auflage von je dreißig Stück werden die Blätter in einer schwarzen Schutzmappe unter dem Titel „An­näherung in 9 Phasen“ von Will Frenken und Fria Elfen herausgegeben.
In Variation A nähern sich in neun Schritten horizontal verlaufende, in das Büt­tenpapier geprägte Linien einander an, in anderen Variationen verändert sich die Anzahlt der Linien und damit auch ihr Abstand zueinander. Der Ablauf erschließt sich dem Betrachter nur bei der Schau aller neun Blätter hintereinander. Erst dann lässt sich die implizite Bewegung der Linien über das Blatt ausmachen. Philipp findet so eine weitere Möglichkeit, den Faktor Zeit in ihre Arbeit zu integrieren.
Im Jahr 1976 zeigt Philipp bei der Ausstellung „Kunstmorgen“ in der Galerie Patio in Frankfurt die Installation „Schichtungen“, welche als Fortführung ihrer Li­nienprägungen gelesen werden kann. Sie spannt elf Kunststofffolien im Quer­format hintereinander über einen Gehweg. Die Folien bestehen aus zwei weißen Rand­teilen und einem transparenten Mittelteil, der bei jeder folgenden Folie kleiner wird, wodurch die weißen Seitenteile einander schrittweise anzunähern scheinen. Im Un­terschied zu der Arbeit in Büttenpapier ermöglicht die Installation eine gleichzeitige Ansicht der Annährungsschritte, der Seriencharakter wird komprimiert zur Schich­tung. Philipp setzt das räumliche Potenzial der Linie in Serie in dieser Installation plastisch um. Eine Reihe von Fotografien zeigt unterschiedliche Mon­tagevarianten eines der Schichtung vorausgegangenen Plexiglasmodells und gibt ein ausge­zeichnetes Beispiel für die Wandelbarkeit von Philipps mit minimalsten Mitteln auskommenden Arbeiten. Gleichzeitig verdeutlichen diese Fotoserien die didaktischen Fähigkeiten der Künstlerin.

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1  Gespräch mit Fria Elfen am 14. September 2004.